«David, wie läufts eigentlich mit Workeer?»

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Diese Frage wurde mir in letzter Zeit immer öfter gestellt, ein guter Anlass also mal ein wenig darüber zu schreiben, was in den letzten Monaten so passierte und wie es in Zukunft weitergehen wird.

27.07.2015, Abschlusspräsentation an der HTW

Wie alles begann
Wie die meisten von euch, die hier mitlesen, sicher noch vage in Erinnerung haben, habe ich zusammen mit Philipp im Frühling und Sommer 2015 Workeer, die erste online Jobbörse für Geflüchtete entwickelt und Ende Juli gelauncht. In der Folge brach eine Welle von (Medien)Aufmerksamkeit über uns herein, der wir kaum nicht gewachsen waren. Eigentlich eine großartige Sache, da wir sehr viele Menschen erreichten, was unserer frischen Plattform enorm beim Start half. Aber es gab ein Problem: Philipp startete nach dem Bachelor in die Selbstständigkeit mit Überdosis, ich hatte bereits meinen Vertrag bei Edenspiekermann unterschrieben. Eigentlich keine Zeit also für ein eigenes Start-Up.

4 Tage später, ARD Tagesschau Interview

In den zwei Wochen zwischen Abschlusspräsentation und Arbeitsbeginn führten wir unzählige Radio-, Zeitungs- und Fernsehinterviews, telefonierten mit allen möglichen Menschen bezüglich möglicher Kooperationen und bekamen täglich sicher mindestens hundert E-Mails. Und natürlich versuchten wir auch noch einige dringend notwendige Verbesserungen an Workeer umzusetzen.

Wir waren allerdings überhaupt nicht auf diese Situation vorbereitet und hatten überhaupt nicht die Strukturen, um das aufzufangen oder direkt ein größeres Team aufzubauen, weshalb wir gefühlt jeden Tag versuchten ein brennendes Haus mit einem Glas Wasser zu löschen. Dementsprechend ließen wir viele Mails unbeantwortet und tolle Möglichkeiten verstreichen.

Verpasste Chancen
Und hier bin ich auch gleich am Anfang schon bei dem Aspekt, der am meisten Reue bei meinem Rückblick auf die bisherige Geschichte von Workeer verursacht. Wir haben so verdammt gute Chancen liegen lassen. Man stelle sich vor wir hätten in den ersten Tagen eine Crowdfundingkampagne aufgesetzt, um die Weiterentwicklung zu finanzieren. Oder hätten wir auf die E-Mails von Unternehmen reagiert, die uns finanziell oder im Rahmen von Kooperationen unterstützen wollten. Hätten wir wenigstens direkt jemanden mit einem Wirtschaftshintergrund ins Team geholt, der sich zumindest mal um die Gründung eines formalen Unternehmens gekümmert hätte …
Und auch einige Mails mit Kooperations- oder Unterstützungsanfragen, die wir nicht bearbeiten konnten, hätten wir irgendwie noch beantworten sollen. In den folgenden Monaten sind daraus zum Teil Parallel- oder Konkurrenzplattformen entstanden. Wir hatten nur einfach nicht für diese Situation geplant und haben es nicht hinbekommen. Am deutlichsten wird es eigentlich daran, dass ich beispielsweise in einem Interview bei Flux FM auf die Frage, ob wir denn für die Zukunft nicht auch finanzielle Unterstützung bräuchten, antwortete, dass wir das erst einmal nicht denken und eigentlich ja auch nur die geringen laufenden Kosten der Server hätten. Und so wie dort, ließen wir auf noch viel größeren Plattformen, wie dem ZDF Morgenmagazin z.B. die Möglichkeit aus bekannt zu machen, dass wir für die Zukunft Geld brauchen. Und darüber ärgere ich mich jetzt nicht, weil wir mit Workeer privat reich werden wollten, sondern weil wir sonst noch viel mehr unseres Potenzials hätten entfalten können.

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Periscopen in aller Herrgottsfrühe vor dem ZDF:moma

Nach dem Abschluss

Nach zwei sehr bewegten Wochen infolge des Launches wurde Workeer dann auch noch unweigerlich zum Nebenprojekt, obwohl der Arbeitsumfang das eigentlich natürlich überhaupt nicht zuließ.Wir versuchten es trotzdem weiter. Telefonate, Interviews und kurze Treffen in der Mittagspause; E-Mails beantworten und die Plattform weiterentwickeln nach Feierabend. Das war natürlich erstens furchtbar anstrengend, zweitens aber auch nicht sonderlich produktiv. Wir schafften in diesem Setup logischerweise nicht die großen Schritte, die wünschenswert und nötig gewesen wären.

Aus diesem Grund trafen wir Ende 2015 die Entscheidung, dass wir unbedingt versuchen müssen ein kleines Team aufzubauen, um der Situation etwas Herr zu werden, denn das Interesse war ungebrochen hoch. Unterstützung bekamen wir dabei von Kiron Open Higher Education. Einem sozialen Startup, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Geflüchteten den Zugang zu Hochschulbildung zu ermöglichen und seitdem zu unserem stärksten Partner und Unterstützer geworden ist. Mithilfe von Kiron wuchs unser Team erstmals an und wir konnten erste Strukturen aufsetzen. Zum ersten Mal gab es so etwas wie ein Team, dass sich um Workeer kümmerte.

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Teammeeting

Und trotzdem, mit Philipp und mir als Initiatoren des Projekts und Verantwortliche für die Weiterentwicklung von Workeer, also dem Produkt im Zentrum des Projekts in Vollzeitjobs, waren weiterhin keine großen Sprünge bei der Produktentwicklung möglich. Genau das, sollte ja aber eigentlich der Fokus sein. Zusätzlich erschwert wurde die funktionale Weiterentwicklung durch den Umstand, dass wir die Plattform im Bachelor ziemlich Quick & Dirty umgesetzt haben. Wir wollten in der kurzen Zeit auf jeden Fall etwas online bringen und nicht nur beim Konzept oder Clickdummy bleiben. Workeer basierte dadurch auf WordPress, was damals die beste Option für uns war, die Plattform schnell hochzuziehen, für die weitere Entwicklung aber unheimlich viele Hürden mit sich brachte. Der nächste unumgängliche Schritt, um mit Workeer weiterzumachen war also die Plattform von Grund auf neu aufzusetzen. Das ist natürlich nichts was man nebenbei macht, sondern als Vollzeitjob. Da wir bis hierher aber weder finanzielle Mittel, noch überhaupt eine eigene Rechtsform hatten, bestand für uns nicht die Option unsere Jobs auf Eis zu legen, denn von irgendwas müssen wir natürlich auch unsere Mieten zahlen.

Cash rules everything around me aka Der finanzielle Struggle
Eine der Schwerpunkte unserer Bemühungen damals war also auch, auszuloten auf welchem Wege wir kurz- und mittelfristig eine Finanzierung auf die Beine stellen konnten, die für uns persönlich eine seriöse Planung der nächsten Monaten zulassen würde. Und das gestaltete sich schwierig. Bis heute stoßen wir bei allen Stiftungen und staatlichen Stellen auf verschlossene Türen. Das Projekt finden immer alle mega, super, wichtig, toll, aber substanzielle Unterstützung kann oder möchte dann niemand leisten. Den Anfang einer Reihe von Enttäuschungen machte Dilek Kolat, die damalige Berliner Senatorin für Integration, Soziales und Frauen. Zusammen mit der rbb Abendschau besuchte sie Philipp und mich, versprach uns vor laufender Kamera und im 8-Augen Gespräch im Anschluss finanzielle Unterstützung, ohne das diese dann im Nachhinein jemals real wurde. Stiftungen sagten uns bisher ab, weil sie entweder gerade keine Projekt für Geflüchtete fördern oder wir schon zu weit sind. Was übrigens auch der Grund war, warum wir bereits bei zwei Gründerwettbewerben von der Jury nicht ausgewählt wurden, bei denen wir kleinere Geldbeträge im 4 bis 5-stelligen Bereich hätten gewinnen können. Jedes Mal hätten wir das Geld dringen gebrauchen können, bekamen es aber nicht weil es bei uns nach Juryeinschätzung keinen Impact mehr hätte. Dabei hatten wir quasi nie Geld und hätten jeden Cent gebrauchen können.
Diese Absagen waren für mich jedes Mal aufs Neue die härtesten Rückschläge. Man investiert viel Zeit und Energie in Projektanträge oder Wettbewerbe anstatt an seiner eigentlichen Mission zu arbeiten und am Ende stehen immer solche nicht nachvollziehbaren Absagen.

Think Big Pro Pitches 2016
Karl und ich pitchen beim O2 Thing Big Innovation Wettbewerb

Jetzt oder nie

So vergingen große Teile des letzten Jahres. Und so langsam musste eine Entscheidung her. Workeer auf Dauer so nebenbei herzuschleifen war definitiv nicht, dass was wir wollten. Mein Einjahresvertrag bei Edenspiekermann lief im August aus, sodass klar war, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über den weiteren Weg notwendig war. Eine Entscheidung, die ich mir damals wirklich nicht leicht machte. Auf der einen Seite hatte ich die Chance bei einer tollen Agentur, mit großartigen Kollegen und spannenden anstehenden Projekten meinen Vertrag zu verlängern, auf der anderen Seite hatte ich mein eigenes Baby, mit dem wir noch so viel vorhatten und bei dem wir alles in der eigenen Hand hatten. Im Gegenzug bedeutete es dafür aber auch eine viel größere finanzielle Unsicherheit. Schlussendlich traf ich die „Jetzt oder nie“ Entscheidung für Workeer. Denn wer weiß wie oft sich solch eine Chance bietet, ein eigenes Unternehmen aufzubauen.

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Gespräch mit der Legende am letzten Tag bei Edenspiekermann

Diese Entscheidung bedeutete aber auch, dass ich mich an Tag 1 nach meinem Job bei Edenspiekermann arbeitslos melden musste, denn die finanziellen Mittel, um mich zu bezahlen existierten zu diesem Zeitpunkt nicht. Ein durchaus kurioses Umstand, wenn man sich vor Augen führt, dass ich für Workeer gemeinsam mit der Bundesarbeitsministerin eine Pressekonferenz gab, wie wir Geflüchteten hier einen chancenreichen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen wollen und dabei selbst arbeitslos war.

pk nahles_dpa
All smiles mit Andrea Nahles

Das Rettungsboot

Das Jahresende 2016 war unsere Deadline. Hätten wir bis dahin finanziell nichts an Land gezogen, hätten wir Workeer wohl beerdigen müssen.
Im Herbst bot sich dann aber nochmal eine sehr gute Gelegenheit, dieses Ende fürs Erste abzuwenden. Die HWR, HTW, UdK und Beuth Hochschule schrieben das Berliner Startup Stipendium aus, für welches wir uns bewarben und das wir schlussendlich auch gewinnen konnten. Für vorerst 6, perspektivisch 12 Monate sind die Gehälter von Philipp, Karl und mir gesichert und damit auch der grundlegende Fortbestand von Workeer. So ein richtiger Zustand ist das aber natürlich auch nicht, denn ein paar weitere Mitarbeiter braucht es. Denn wir wollen die Plattform selbst funktional und inhaltlich, aber auch die Organisation drum herum weiterentwickeln. Dafür braucht es auch Öffentlichkeitsarbeit, regelmäßigen Kontakt zu Arbeitgebern und Geflüchteten, Netzwerkarbeit und vieles mehr.

Gemeinnützigkeit my ass
Bisher haben wir deshalb weiterhin händeringend versucht eine mittel- bis langfristige Finanzierung durch Stiftungen, staatliche Stellen oder auch Corporate Sponsoring zu bekommen. Nach wie vor jedoch ohne Erfolg. Und wenn dabei nicht mal die engagierte persönliche Unterstützung von Andrea Nahles hilft, dann ist der Zeitpunkt gekommen den Ansatz der Gemeinnützigkeit zu hinterfragen. Offenbar sind wir entweder unfähig die genannten Stellen zu überzeugen, dass man uns fördern sollte oder es sprechen andere Gründe dagegen, die uns nicht bekannt sind oder wir nicht beeinflussen können.

Im Grunde bleibt daher nun nur noch eine Option, wir werden unser eigenes Geld verdienen müssen. Grundsätzlich nichts Schlimmes, nur ist natürlich klar, dass eine Monetarisierung von Workeer nur wenig förderlich für unsere soziale Mission sein wird. Wenn Arbeitgeber für ihre Stelleninserate etwas zahlen müssen, ist das für eine Jobbörse das Normalste der Welt, es wird sich aber natürlich trotzdem auf die Anzahl der inserierten Jobs und Arbeitgeberprofile auswirken. Der Spagat, den wir dabei hinbekommen müssen ist der zwischen finanzieller Nachhaltigkeit und maximalem sozialem Impact.

Make it or break it
Ab morgen, dem 03. April 2017, werden wir deshalb ein Bezahlmodell auf Workeer einführen. Die jetzt kommenden Wochen werden also über die Zukunft von Workeer entscheiden. Ich bin hoffnungsvoll optimistisch, dass wir auf diesem Weg eine nachhaltige Grundlage für die Plattform schaffen können. Klar ist aber auch, wenn sich zeigt, dass auf Seite der Arbeitgeber keine genügende Bereitschaft besteht für Stelleninserate zu zahlen, wird sich das Thema Workeer für uns ziemlich schnell erledigt haben.

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Hans, Philipp, Karl und ich diskutieren, wie es weitergeht mit Workeer

Zweifeln tun wir am Weg, den wir jetzt einschlagen schon deshalb trotzdem nicht, weil wir im Prinzip gar keine andere Wahl mehr haben. Und sollte es am Ende nicht klappen und wir Workeer in dieser Form nicht mehr weitermachen können, dann würde ich persönlich trotzdem nie die Entscheidung bereuen, es gewagt zu haben, Workeer zu meinem Vollzeitjob gemacht zu haben.

Denn die Einführung eines Bezahlmodells ist nur die nächste, in einer langen Reihe von sehr wertvollen Erfahrungen, die ich als Mitgründer und Kopf eines solchen Projekts sammeln konnte. Besonders aus Designsicht, da ich zusammen mit Philipp und Hans den Großteil der Verantwortung dafür trage, wie es mit der Plattform als Produkt weitergeht. Genauso aber natürlich auch das ganze Drumherum, also das Aufbauen und Leiten unseres Teams, das Treffen von strategischen Entscheidungen, das Netzwerken mit verschiedensten potenziellen Partner und dann noch so Möglichkeiten, wie mein TEDx Talk in München, eine Einladung zur EU nach Brüssel, eine Konferenz in Athen, die Nennung auf der Forbes 30 Under 30 Liste oder die ganzen tollen Menschen, die uns unterstützt haben, immer noch unterstützen und die wir durch unsere Arbeit kennengelernt haben. In Anbetracht dessen, war es bisher der absolut richtige Weg, das Risiko einzugehen und Workeer zu meinem Vollzeitjob zu machen.
Ab morgen startet nun die mit Abstand spannendste Phase dieser interessanten Reise und ich hoffe es wird nicht die Letzte sein, schließlich wollen wir noch viele weitere Geflüchtete dabei unterstützen einen Job zu finden und unsere Gesellschaft so ein kleines bisschen besser machen.

Wer jetzt Lust bekommen hat uns dabei zu unterstützen, kann das am einfachsten hier auf Betterplace tun.

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2 comments

  1. Hey David,

    danke für den Einblick. Ich kann das soooo gut nachvollziehen, jeden einzelnen Satz. Wir erleben in unserem kleinen Startup das gleiche und ich frage mich auch immer wieder, wann ist der Zeitpunkt gekommen, das Projekt zu begraben?
    Ich wünsche euch von Herzen alles Gute und viel Erfolg. Auf dass unsere “Frühchen” im Incubator groß uns stark werden mögen und irgendwann auf eigenen Beinen stehen.

    Liebe Grüße,
    Luisa

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